Winningen – eine Dorfgesellschaft um 1850

Während es auf FactGrid bereits mehrere Projekte gibt, die ganze Städte erschließen, seien es Leipzig, Gotha, Paris oder Aschersleben, ist das bisher noch nicht für den Siedlungsraum Dorf passiert. Winningen ist ein ehemaliges Gutsdorf, das seit 2004 Ortsteil der Stadt Aschersleben ist. Um 1850 bestand das Dorf aus etwa 90 Liegenschaften mit ca. 630 Einwohnern. Dies ist dokumentiert in einer bei FamilySearch digitalisierten “Liste der sämtlichen männlichen u. weiblichen Civil-Einwohner zu Winningen” von 1849 –  ein überschaubarer Datensatz über die Zusammensetzung der damaligen Dorfgemeinschaft.

Deckblatt der Einwohnerliste Winningens von 1849
Deckblatt der Einwohnerliste Winningens von 1849

In einem ersten Schritt wurden alle Liegenschaften aus dieser Liste aufgenommen und in FactGrid erschlossen. Dabei ergab sich die Schwierigkeit, dass in der Einwohnerliste die Häuser nur durchnummeriert wurden, allerdings keine genaueren Angaben zur Lokalisierung gemacht worden, etwa die Zuordnung von Straßennamen. Deshalb konnte bisher keine Georeferenzierung erfolgen oder Konkordanz zur heutigen Nummerierung der Straßen erstellt werden. Hierzu fehlen online zugängliche Quellen, die die weitere Aufbereitung der Daten ermöglichen:

Sämtliche Liegenschaften in Winningen nach der Einwohnerliste von 1849

Zu den einzelnen Einwohnern wurden hingegen weitaus mehr Angaben gemacht als zu den Liegenschaften. So finden sich neben den Namen zu allen 630 Einwohnern Angaben zu deren Karrieren, Adressen, Geburtsjahren, der Konfession, der sie angehörten und den familiären Beziehungen innerhalb eines jeden Haushaltes, die entsprechend aufgenommen und in FactGrid übertragen wurden:

Sämtliche Einwohner Winningens 1849 mit Geburtsdatum, Karriere-Aussage und Adresse

So lassen sich mit diesen Daten bereits erste interessante Befunde generieren, so zum Beispiel Statistiken über die erfassten Karriere-Aussagen:

Berufsverteilung nach Sektoren in 1849

Diese Übersicht zeigt, das etwa die Hälfte der Dorfbevölkerung zu dieser Zeit aus Kindern und unverheirateten Personen ohne Beruf bestand und für alle anderen Personen ein leichter Männerüberschuss zu verzeichnen ist (vermutlich die unverheirateten Arbeiter auf dem Gut). Bei der Verteilung der Berufe der Männer liegen Schwerpunkte eindeutig in den Bereichen Dienerschaft, Arbeiter und Tagelöhner sowie Landwirtschaft und Forsten. Dies ergibt sich einerseits aus dem Zusammenhang, das der größte Arbeitgeber des Dorfes der Gutsherr war, für den ein Großteil der männlichen Einwohner des Dorfes arbeitete. Andererseits sind für die Mehrzahl der eigenständigen Haushalte die Familienvorstände als Häusler gelistet, also Dorfbewohner, die sich meist selbst über ein kleines Stück Land versorgten, das ihnen gehörte oder von ihnen gepachtet wurde. Weitere Sektoren, wie Handwerk, Gastronomie oder Bildung und Verwaltung sind in geringem Umfang ausgeprägt und werden ohne überregionale Bedeutung für die Erfüllung der Bedürfnisse im Dorf genau ausgereicht haben.

Betrachtet man nun als weiteren Wert die Altersstruktur des gesamten Dorfes nach Geschlechtern, hier geordnet nach Geburtsjahrzehnten, ergibt sich eine zu dieser Zeit übliche Pyramidenform.

Der einzige auffällige Wert liegt hier in einem leichten Überschuss männlicher Dorfbewohner für die Geburtenjahrgänge 1830 bis 1839, eben jener Altersgruppe in der Mädchen oft als Dienstmägde in andere Haushalte in anderen Städten oder Dörfern geschickt wurden. Als nächstgrößere Stadt käme hierfür Aschersleben in Frage, eine solche Wanderungsbewegung von Dienstpersonal muss allerdings erst noch belegt werden:


Altersstruktur  der Dorfbewohner nach Geschlecht (1849).

Mit dieser Einwohnerliste ist lediglich ein Startpunkt gegeben. Für Winningen liegen für das 19. Jahrhundert von etwa 1808 bis 1874 nahezu geschlossen die Kirchenbücher digitalisiert frei zugänglich bei FamilySearch und für ihren gesamten Überlieferungszeitraum mittlerweile geschlossen digitalisiert im Kirchenbuchportal Archion vor. Mit der Ergänzung und der Zusammenführung dieser Daten mit den Daten der Einwohnerliste ließe sich für das gesamte 19. Jahrhundert ein überschaubarer Datenkorpus schaffen, mit dem sich bis ins Detail die Gesellschaft dieses Dorfes beginnend bei einfachen prosopographischen Daten bis hin zu komplexeren Beziehungsnetzwerken, wie Taufpatenschaften oder sonstige familiäre Verbindungen über die Haushalte in 1849 hinausgehend darzustellen lässt.  Exemplarisch ist die Erschließung einiger weniger Daten aus diesen Kirchenbüchern bereits erfolgt – es bleibt jedoch noch einiges zu tun, um diesen Datensatz zu vervollständigen.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *