Erste Hilfe beim Zuordnen mittelalterlicher Ortsnamen (5770 Vorschläge)

Anfang des Jahres fragten wir (ich gab die Frage für Kathleen Schnabel und das Team Robert Gramsch-Stehfests ins Netz) die Welt der “Twitter Mediävisten” nach einem klugen Tipp, wie wir gut 3000 mittelalterliche Ortsnamen identifiziert bekämen. Es handelte sich um Ortsnennungen, die Studenten, die sich zwischen 1392 und 1450 an der Uni Erfurt einschrieben, zu ihren Namen in die Matrikellisten gaben, niedergeschrieben wohl immer nach Gehör.

Der Tweet war erstaunlich erfolgreich: 13.900 mal gesehen, 115 mal geliked, 100 mal weiterversandt. Hilfreiche Antworten kamen aus allen Richtungen.

Offenbar waren wir nicht die ersten, die an diesen besonderen Abgrund gerieten.


Aberwysczel
Abswinden
Adelenessen
Adelfessessen
Adenstede
Adernheym
Adirstete
Aemstelredam
Agghelbeke
Ahorn
Ailsfeldia
Akusgrann

Natürlich hätten wir einfach bei den Immatrikulationen, die wir verzeichneten, in einem eigenen Feld notieren können, was die Studenten als ihre Herkunftsorte angaben, respektive die Schreiber daraus machten. Das taten wir auch am Ende. Wer aber von den Studenten eines Jahres aus demselben Ort stammte? Wo das Einzugsgebiet der Uni lag? Wie es sich mit dem Aufstieg der Uni veränderte? – das alles ließ sich ohne Identifikationen der Orte nicht klarer ermessen.

Banal war es, die Ortsangaben in einem Google Spreadsheet allen Orten der Datenbank gegenüberzustellen und mit VLOOKUP (SVERWEIS) eine unimittelbare Zuordnung durchzuführen. Die Treffermenge fiel aber unbefriedigend schmal aus und war durchzogen von sich auftuenden unterschiedlichen Problemen. Gotha konnte in den Matrikeln als Gota oder Gotta auftauchen, nur ein einziger Buchstabe verhinderte in diesen Fällen das “matching”. Bei Namen wie Akusgrann lagen die Dinge dagegen komplexer. Hier sollte man wissen, dass der Ort lateinische auch als Aquisgranum und Aquae Grani bekannt war und so zu Eindeutschungen verleitete.

Michael Markert von der Thüringer Landesbibliothek Jena schlug mit einem YouTube Tutorial den Abgleich vor, der das Feld der Treffer in dieser misslichen Lage unmittelbar handhabbarer machte – eine GND/Lobid Anfrage, die einen mathematischen Buchstabenaustauschverfahren Varianten ins Kalkül brachte, mit denen sich alle geringfügigen Schreibunterschiede erst einmal auflösten:

Skurrile Treffer machten die sehr speziellen Schwächen dieses Angebots deutlich: Argentinische Studenten wollten sich da 90 Jahre vor der europäischen Entdeckung Südamerikas in Erfurt eingeschrieben haben, Studenten „de Argentina“, aus Straßburg.

Ein eigenes Problem blieben zudem die Orte mit aktuellen Namensgleichheiten. Dem Abgleich fehlten Wahrscheinlichkeitsparameter, Formen eines eigenen Kontextes: Von zwei Rothenburgs sollte das bei Fulda eher im Einzugsbereich der Erfurter Universität liegen als das an der Tauber oder das an der Wümme (entscheiden ließ sich das letztendlich jedoch nicht). In anderen Fällen war eher über Infrastrukturen nachzudenken: Wenn es zu einer Nennung ein Dorf und einen Ort mit mittelalterlicher Lateinschule gab, war vermutlich eher der Ort mit der Lateinschule der Entsender.

Am Ende blieb nichts übrig, als in einer Gruppensitzung alle Vorschläge zu überprüfen und bei vielen der Angaben historisches Wissen spielen zu lassen – bei 3000 Ortsnennungen ein gerade noch gangbarer Weg.

Das Endergebnis blieb eine Annäherung und erweist sich im Moment als vorurteilsbehaftet: Österreich, die Schweiz, die Niederlande sowie die ehemals deutschsprachigen Ostgebiete dürften in der folgenden Karte unterrepräsentiert sein (man kann in das Iframe hineinzoomen, die Karte wird bei jeder Browserauffrischung frisch aus den Datenbankeinträgen generiert). Was hier sichtbar wird, ist, dass wir Orte nach heutiger Nationalität gebündelt in die verschiedenen Schritte des Abgleichs brachten, um dabei annäherungsweise räumliche Nähe ins Spiel zu bringen.


Zoomfähige Kartendarstellung: Die Herkunftsorte der Erfurter Studentenjahrgänge 1392 bis 1450

Erst Blicke in die Biographien werden die Entscheidungen substantiieren können. Die Datenbank erlaubt es indes, Baustellen aufzumachen. Dies ist die Liste aller Orte, die wir im Moment für eine “manuelle” Überprüfung zurücklegten:

Doch ein nützliches Produkt am Ende

Dem Bedarf, der sich hier auftat, Rechnung tragend, spiegelten wir die durchgeführten Identifikationen am Ende auf die heutigen Ortsnamen zurück, so dass sie sich nun zwei neue Handhabungen ergeben:

Gibt man im Suchschlitz des MediaWikis einen Namen ein, den man nicht sofort einem heutigen zuweisen kann, so erhält man mögliche Treffer unmittelbar über die Alias-Funktion der Wikibase-Instanz angezeigt.

Ortszuweisung nach den Aliasangaben über den einfachen Suchschlitz

Spannender aber sollte die Liste unserer Zuweisungen sein. Sie lässt sich nun unmittelbar aus dem folgenden Fensterausschnitt als CSV, TSV oder JSON-Datei herunterladen (die Download-Links erscheinen am rechten Fensterrand im Mouseover; Quellennachweise finden sich in den einzelnen Datensätzen und können mit einer komplexeren Suche auch hinzugeladen werden):

Als TSV Datei heruntergeladen lässt sich die nun spaltenweise erscheinende Liste jeder eigenen in einem Excel- oder Google-Datenblatt gegenüberstellen und mit VLOOKUP/SVERWEIS auf einfache Art innerhalb des Datenblatts abgleichen.

Weihnachten rückt näher. Wunderbar wäre ein Tool, mit dem man Abfragen kontextualisieren könnte. Wir suchten Orte aus dem Spätmittelalter mit einer Fokussierung auf Erfurt und einer Privilegierung von Orten, die im Mittelalter über Schulen verfügten. Nicht einfach. Die Macher des GOV, des Genealogischen Ortsverzeichnisses sollten hier viel weiter sein – vielleicht dass wir einmal zusammen einen viel intelligenteren Service zu Ortsnamen auf die Beine stellen.



Publiziert im Rahmen des der NFDI4Memory Task Area “Data Connectivity”, Historisches Datenzentrum Halle, Projektnummer 501609550.

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