Eine Sitzung der Gothaer Illuminaten von 1786 — rekonstruiert für die “Lange Nacht der Wissenschaften” der Uni Erfurt, 2019

[kollektive Arbeit Erik Liebscher, Markus Meumann, Olaf Simons] Am 8. November 2019 inszenieren Mitarbeiter und Promovierende des Forschungszentrums Gotha anlässlich der Erfurter “Langen Nacht der Wissenschaften” 2019 eine Sitzung des Illuminatenordens aus dem Jahr 1786 – eine Zeitreise und ein Blick in den geheimnisumwobenen Alltag des Ordens. Wenn die Illuminaten auch ein Geheimorden waren und wenn freimaurerische Riten auch der Öffentlichkeit nicht erklärt werden, so sind wir im doch Rückblick ausnehmend gut in der Lage, zu erfassen, was in den Sitzungen zumindest in der letzten Ordensprovinz „Ionien“ (Thüringen) in den 1780er Jahren geschah. Der Orden hatte eine ausgefeilte Bürokratie. Man protokollierte die Sitzungen und archivierte die vorgetragenen Aufsätze. Die Rituale waren dabei an der Freimaurerei geschult, die man von zwei Seiten organisatorisch umschloss – von unten, indem man Jungmitglieder rekrutierte und auf die Freimaurerei mit drei Schulungs-Graden vorbereitete und von oben, indem man auf die drei Johannisgrade der Freimaurerei ein eigens Hochgradsystem aufsetzte, dessen Mitglieder sich wiederum eigens, außerhalb der infiltrierten Loge trafen. Wir sind Stefan Sarrach von der “Grossen National-Mutterloge zu den drei Weltkugeln” dankbar dafür, dass er mit uns gemeinsam einen Blick in die „Rituale“ warf, die vorgaben, wie Sitzungen regulär zu gestalten waren. Die Bewegungen und Handlungsschritte blieben hier mit Wissen des Freimaurers zu erschließen.

Die Sitzung, die wir auswählen, fand am 28. Dezember 1786 statt, wie immer im zum Park hin vor dem Schloss gelegenen Haus des Obergärtners Wehmeyer. Details sprachen für die Wahl dieser Sitzung: Wir suchten ein Treffen mit überschaubarer Teilnehmerzahl (und müssen in der ausgewählten Sitzung noch immer auf drei Statisten verzichten) und mit spannenden Beiträgen. Die ausgewählte Sitzung war dabei besonders: Einer der „Minervalen“, der 26jährige Johann Georg Geißler („Quintus Cicero“ in Gothas Ordensniederlassung) hatte selbst ein Thema gestellt. In der Regel gaben die Ordensoberen die Arbeiten vor. Geißlers Thema war dabei tiefsinnig:

Soll ich meinem Freunde absichtlich Äuserungen entlocken deren Bekanntwerdung er fürchten muß, um ihn dadurch zu Beförderung eines moralischen guten Endzweckes desto fester an mich zu ketten?

Geißlers Rückblick auf die Geschichte seiner Themenstellung zeigt, dass die Mitbrüder sein Thema erst einmal „dunkel“ fanden. Brisant war es zudem im Orden, in dem doch gerade die geheime Organisation den besonderen Raum für eine vertrautere Freundschaft schaffen sollte, in der sich dann Freiheit des persönlichen — auch einmal gefahrvollerem — Denkens herausfordern ließ. Kann man frei sprechen, wenn man riskiert, dass man damit erpressbar wird? Kann man in einem Orden frei sprechen, der alle Beiträge akribisch auswertet und archiviert und nachher schriftliche Dokumente gegen einen in der Hand hat? Die Fragen stehen im Raum werden aber in dieser Brisanz nicht angesprochen.

Wir wissen, dass Geißlers Aufsatz mit Applaus diskutiert wurde, im Gegensatz zum dem seines um drei Jahre jüngeren Mitbruders August Ludwig Hoppenstedt (Ordensname „Diognet“). Sein Aufsatz ging erst in der zweiten Fassung, die er zum 21. März 1787 vorlegte, zu den Akten, weshalb wir nicht mehr genau erfassen konnten, womit Hoppenstedt Kritik auf sich zog.

Welche Punkte der Ordensstatuten in der Sitzung verlesen wurden, ist nicht exakt notiert. Wir wählten gleich die ersten aus, da sie genau auf das Thema zugeschnitten sind. Unklar bleibt auch wie viel aus Schillers philosophischen Briefen zwischen Julius und Raphael an jenem Spätnachmittag des Jahres 1786 zum Vortrag kam – der Text der Seiten 117 und folgende des dritten Hefts der Thalia schafft mit seinen Erwägungen zum göttlichen höchsten Wesen jedenfalls ein elegantes Gegengewicht zur Ode, die Schack Hermann Ewald (Cassiodor) der Seele widmete.

Wir haben die Texte für die Aufführung im Rahmen der „Langen Nacht“ etwas gekürzt; das Publikum soll hier zwischen vielen Veranstaltungen sich hier zwischen vielen Veranstaltungen hin und her bewegen können. Im Folgenden das Protokoll mit dem Sitzungsablauf und Links zu den archivierten und von uns ausgewerteten Beiträgen, wie sie die „Gotha Illuminati Research Base“ im Erfurter FactGrid erfasst.

Die Teilnehmer

  1. Christian Georg von Helmolt (Chrysostomus), der Superior [Markus Meumann]
  2. Christian Heinrich Wehmeyer (Cleobolus), der Censor [Olaf Simons]
  3. Schack Hermann Ewald (Cassiodor), Quaestor [Martin Mulsow]
  4. Christoph Friedrich Chrysostomus Schenk, Sekretär (Robertus Stephanus) [Marian Hefter]
  5. Johann Georg Geißler (Quintus Cicero) [Erik Liebscher]
  6. August Ludwig Hoppenstedt (Diognet) [Marie Nosper]
  7. Johann Gottfried Bohn (Spanheim) [Rolle nicht besetzt]
  8. Carl Friedrich Ernst von Helmolt (Guido della Torre) [Rolle nicht besetzt]
  9. Friedrich Ernst Carl Mereau (Thuanus) [Rolle nicht besetzt]
  10. Hans Ulrich von Gadow (St. Evremont) [Rolle nicht besetzt]

Das überlieferte Sitzungsprotokoll

Sitzungsprotokoll der Sitzung der Gothaer Minervalkirche vom 28. Dezember 1786.

Die vorgetragenen Texte

Was in der Aufführung nicht ganz erkennbar sein wird

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