Eckard Rolfs Vokabular der Gebrauchstextsorten als FactGrid-Angebot

English version

Der Datensatz in Basis-Abfragen:

Mit den obigen und den folgenden Link-Angeboten lässt sich ein erstes „kontrolliertes Vokabular“ zu Gattungen von Gebrauchstexten aus dem FactGrid ziehen, sowohl als einfache Wortliste wie mit inhaltlichen Durchdringungen und Übersetzungen. Im Moment hat dieses Angebot noch experimentellen Charakter. Wikibase ist eine Software für Wissensgegenstände, nicht für Worte. Die Gegenstände erhalten Q-Nummern und auf diesen liegende Bezeichnungen in den verschiedensten Sprachen – Worte dagegen würde man in ihren Sprachen belassen wollen. Die Wikibase-Entwickler erweiterten darum 2018 ihr Angebot: Zu den Q-Nummern für die Dinge des Wissens kamen L-Nummern für „Lexeme“, die in ihren Sprachen verbleiben und nun Aussagen zu sprachlichen Bedeutungen auf sich ziehen.

Die Gebrauchstextsorten, die Eckard Rolf 1993 erfasste und sortierte, sind eindeutig Wissensgegenstände, die Angelegenheit für Q-Nummern: Eine „Mahnung“ ist eine Aufforderung, eine versäumte Zahlung nachzuholen – man kann diese Erklärung in verschiedenen Sprachen geben und die verschiedensten Sprachen haben ihre Worte für denselben Gegenstand: „dunning“ im Englischen, „mise en demeure“ im Französischen.

Der Anstoß zu diesem ersten kontrollierten FactGrid-Vokabular kam von Tobias Christ auf seiner Suche nach einem Werkzeug für die Erfassung von NS-Gebrauchstexten. Eckard Rolfs funktionale Klassifikation von Gebrauchstextsorten erfasst großzügig Begriffe und Kommunikationsstrukturen unter dem pragmatischen Gesichtspunkt des Handlungszwecks und erlaubt damit Blicke auf jeweils benachbarte Gegenstände – interessant etwa in Vergleichen der Gestaltung gleichartiger Texte. Statistiken von Produktionen lassen sich mit Rolfs Erfassung generieren, da sie das Gelände ohne große Doppelungen der Zuweisungen aufteilt. Der Autor stand bei der Datenbank-Version zur Seite, und ich vermute, er wird noch an einigen Stellen editorisch nachfassen. Mit dem nachfolgenden Link lässt sich die Liste in JSON, CSV, TSV oder Html-Tabellen herunterladen (rechts am Seitenrand eröffnen sich im Mouse-over die Optionen). Spalte 1 bietet die Links in die einzelnen Datenbankobjekte. Die Spalten 3 und 4 ordnen den Begriffen Rolfs Signaturensystem zu. Ich setze diesem die Einstufung nächster Ebene zur Seite, da mit ihr die Ordnungskriterien greifbarer werden:

Eckart Rolfs Klassifikation der Gebrauchstextsorten umfasst originär 2056 Gattungsbegriffe, die auf oberster Ebene in fünf Gruppen auseinanderdividiert sind; die assertiven Gattungen bilden das Gros gefolgt von den direktiven, deklarativen, kommissiven und expressiven:

Mit der EntiTree App lässt sich (durch Anklicken der Pfeile) das Gefüge entfalten:

Eckard Rolf bot diese Entfaltung bereits in seinem Buch an. Tobias Christ fasste sie in einer praktischen und um eigene Beispiele ergänzten Ansicht zusammen (Pdf), die mich die Knotenpunkte im System zuweisen ließ. Die spezifische Visualisierung wirft ein Schlaglicht auf die Art der Erschließung, die Rolf durchführte. Personalausweise mögen Personen Geschlecht, Augenfarbe, Körpergröße und Adressen zuschreiben – Eigenschaften, die einander gegenüber variabel bleiben. Eckard Rolfs Erschließung ist grundlegend anders: Die Eigenschaften untergliedern sich, sie werden feiner. Ich machte diese Verschachtelung der Optionen sichtbar, indem ich die Untergliederungen in den Aussagen auf allen ihren Ebenen mit erfasste. Auf der obersten Ebene ist die „Mahnung“ eine „direktive Textsorte“, auf der untersten eine „bei Zahlungspflicht auf Seiten des Rezipienten insistente bindende direktive Textsorte“.

Neben der Verortung im Gefüge eine Erfassung der Objekt-Eigenschaften

Die von Rolf angebotene Stammbaum-Untergliederung liegt auf einer einzigen Property, der Property P894: Eckard Rolf Gebrauchstextsorten-Klasse. Der Stammbaum mit seinen Differenzierungen eröffnet sich dabei von den Basisklassifikationen ausgehend; sie sind vom unten nach oben vernetzt. Mit der gewählten Property P894 lässt sich damit zwar das gesamte Gefüge wiedergeben und bei guter Skriptkenntnis beliebig gebündelt abfragen, im Umgang mit den einzelnen Begriffen bleibt das jedoch unbefriedigend. Die Aussagen zu jedem Begriff liegen jeweils in den unsichtbaren Knoten über ihm. Zwei Möglichkeiten bestehen, um die Aussagen einzeln zudem auch noch auf die Begriffsebene zu legen: Man kann für jede Ebene der Granularität eine eigene Property aufmachen, oder eine Summarische Sprechakt-Property aufmachen und auf dieser die Eigenschaften einzeln notieren. Ich spielte beide Lösungen durch und entschied mich im Verlauf mit nur einer Sammel-Property zu arbeiten – der Property P912: Sprechaktqualitäten. Es geht bei dieser Lösung nichts verloren, da wir auch auf den jeweiligen Aussagen vermerken können, auf welcher Betrachtungsebene sie gemacht sind und damit dieselben statistischen Auswertungen für jede Betrachtungsebene durchführen können. Die Sammlung der Eigenschaften unter der einen Property P912 ist vorteilhaft, da Nutzer nur bei Abfragen nicht vorab wissen müssen, auf welcher Ebene sich die jeweilige Eigenschaft bewegt. Man sucht nach Texten mit der Eigenschaft unter einer einzigen Property und erhält mehr oder weniger große Bündelungen.

Hier die statistischen Abfragen des gesamten Corpus, wie es Rolf erfasste, auf den einzelnen Eigenschaftsebenen:

  1. Zweckbestimmung
  2. Generelle Zweckanstrebungsweise
  3. Spezielle Zweckanstrebungsweise
  4. Vorbereitende Bedingung
  5. Erfülltheit der Aufrichtigkeitsbedingung

Im beratenden Gespräch spielte Eckard Rolf die Antworten am Beispiel des „Lippenbekenntnisses“ durch, wobei er unversehens mit der „Erfülltheit der Aufrichtigkeitsbedingung des Sprechakts“ eine neue Ebene der Eigenschaften aufmachte, die in seinem Buch so nicht vorkam. Frage der Aufrichtigkeit ist interessant, da sie sich nicht im Stammbaum unterordnet und quer durch das Gefüge der Begriffe greift. Bei Textsorten wie der „Sonntagsrede“ sollte sie wieder aufkommen. Ich machte indes keine Begriffe auf und versuchte keine Zuordnung der P912-Property – Sprachwissenschaftler sollten hier nachdenken und eigene Begriffe und Erwägungen spielen lassen.

Die obigen Suchen sind gleichzeitig Musterabfragen, mit denen sich beliebige Corpora statistisch zergliedern lassen. Im Internet findet sich ein einzelner Anwendungsfall des Rolfschen Vokabulars mit der Statistik, die Stefan Rabanus in seiner Staatsexamens-Arbeit Die Sprache der Internet-Kommunikation, Mainz, Gardez! Verlag, Mai 1996 durchexerzierte. Hier ist besonders Node 37) nit der Auswertung interessant. Die FactGrid-Erfassung macht solche Auswertungen in Zukunft einfacher.

Genauso gut lassen sich unter der einheitlichen P912 Property nun einzelne Aussagen herausgreifen. Die folgende Mustersuche erfasst so etwa „bindende“ Textsorten. Wenn man unter dem i-Symbol den Query Helper öffnet, kann man diese Eigenschaft gegen jede andere aus der Liste aller Eigenschaften austauschen:

Das sich öffnende Projekt

Die in Eckard Rolfs Publikation 1993 ursprünglich genannten 2056 Textsorten sind über die Quellenvermerke notiert und abfragbar. Das erlaubt es, neue Begriffe wie den „PodCast“ wie das „Quibus Licet“ (Q10508), das Illuminaten monatlich bei den Ordensoberen einreichen mussten in das Gefüge aufzunehmen ohne die Ursprungskonfiguration dabei unsichtbar werden zu lassen – man kann das größere FactGrid-Corpus abfragen wie Rolfs ursprüngliches. Aus der abgeschlossenen Buchpublikation von 1993 wird damit ein beliebig erweiterbares Gefüge.

In eine zweite Richtung musste das Projekt im FactGrid umgehend geöffnet werden: Die Datenbank ist auf Übersetzungen aller Termini angewiesen; englische Label sind dabei unabdingbar, um in den Sprachen, die noch nicht bedient werden. Die Übersetzungen sind im Moment noch sehr provisorisch.

Google scheiterte großflächig an den Nuancen der Rolfschen Liste. Bei 230 im Deutschen unterschiedlichen Begriffen kam es auf der englischen Seite zu Konvergenzen. „Rat“ und „Ratschlag“ wurden „Advice“; „Unglücksbotschaft“, „Unglücknachricht“ und „Schreckensnachricht“ wurden erst einmal nur „bad news“. Mitunter wissen wir im Deutschen, wann ein bestimmter Begriff angemessen ist: „Jagdkarte“ ist österreichisch, und „Jagdschein“ deutsch. „Schwur“ und „Eid“ überschneiden sich im Deutschen, doch zeigen „Amtseid“ und „Racheschwur“ Grenzen der Austauschbarkeit: der Schwur ist eher ein emphatisches Versprechen, der Eid formeller. Wenn eine andere Sprache nicht genauso differenziert – im Englischen gibt es nur den „oath“, ob als „oath of revenge“ oder als „oath of office“ – dann erhalten deren Nutzer zwei Items „oath“, zwischen denen sie sich nicht entscheiden können, nur weil auf deutscher Seite hier Unterschiedliches steht. In diesen Fällen ist es eigentlich ratsam, nur ein Item zu bespielen und auf diesem für jede Sprache ins Detail zu gehen und Worte zu listen, die dies meinen, samt qualifizierenden „Nutzungshinweisen“ auf der Property P598. Worte gehen bei solchen Zusammenlegungen nicht verloren, sie erhalten nur einen präziseren Platz als Optionen, die Sprachen unterschiedlich zur Verfügung stellen.

Was zu tun bleibt

Kontrollierte Vokabulare auf einer Wikibase-Instanz anzubieten, dürfte praktisch sein: In der Graph-Datenbank lassen sich Vokabulare im Plural verwalten und komplikationslos auf dieselben Begriffe legen. Wir können im selben Moment sagen, wie sich diese Vokabulare zueinander verhalten, wo sie deckungsgleich sind, wo sie eigene Vernetzungen auftun, und können so zwischen Vokabularen mühelos vermitteln. Man kann im selben Moment externe Datenbanken, die sich eines bestimmten Vokabulars bedienen, egal in welcher Sprache sie das tun, mit dem eigenen Lieblingsvokabular verstehen.

Das vorliegende Vokabular birgt im Moment als deutlich deutsches Produkt mit sehr feiner Nuancierung in der globalen Nutzung Desiderate:

  • Die Property-Label und Beschreibungen sollten noch einmal übersehen werden. Dies sind alle aktuell bestehenden Eigenschaften von Gebrauchstextsorten.
  • Die Übersetzungen müssen noch vollständig überprüft werden.
  • In der gesamten Begriffs-Liste sollten Zusammenziehungen auf „das jeweils Gemeinte“ erwogen werden. Verschiedene Worte für mehr oder minder dasselbe, legt man dabei zum einen auf die Alias Position (das geschieht beim “Merging” automatisch, danach landet man beim Eintippen der beliebigen Alternative auf dem zentral gesetzten Begriff), zum andern kann man die Varianten danach an Ort und Stelle mit „Nutzungshinweisen“ ausstatten. Es ist dies der Weg, der das Instrumentarium mehrsprachig eindeutig macht.
  • Das gesamte Vokabular ist derzeit nur im Ansatz mit Wikidata abgeglichen und kaum mit GND-Nummern ausgestattet. Auch hier ist im Moment noch nachzufassen.

Publiziert im Rahmen des der NFDI4Memory Task Area “Data Connectivity”, Historisches Datenzentrum Halle, Projektnummer 501609550.

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